Weiterbauen
Der 1961 erbaute Bungalow wurde seit der Errichtung von den Großeltern der Bauherrin bewohnt. Als Kind verbrachte die Bauherrin viel Zeit bei den Großeltern. Als die verwitwete Großmutter im
Alter von 85 Jahren nicht mehr alleine wohnen wollte und in eine Anlage für Betreutes Wohnen zog, wurde im "Familienrat" diskutiert, was mit dem Anwesen geschehen sollte.
Die erste diskutierte Verwendung sah eine rudimentäre Sanierung und den Einbau einer Zentralheizung vor, um das Haus anschließend z.B. zu vermieten. Die zweite Möglichkeit wäre ein Abriss mit
anschließendem Neubau als Eigenheim auf dem sonnigen Südhang gewesen.
Die Familie entschied sich für eine dritte Möglichkeit: Weiterbauen. Die Bauherrnfamilie sah hier die Chance in einer gewachsenen Siedlung nahe des Stadtzentrums, der Kindergärten und Schulen,
an einem sonnigen Südhang Wohnraum für die eigene Familie zu schaffen, der den heutigen Ansprüchen entspricht: Nachhaltig, auf hohem energetischen Standard, mit großzügigen, hellen Räumen,
ökologischen Materialien und beheizt allein durch einen Stückholzofen und Sonnenenergie. Die Eltern der Bauherrin wohnen gleich nebenan im ehemaligen Obstgarten. Alle 3 Generationen nutzen den
Garten gemeinsam, der Großvater arbeitet mit den Kindern im Garten, man trifft sich regelmäßig für gemeinsame Grillabende. Der von den Urgroßeltern angelegte Obstgarten ist mit seinen alten
Apfelbäumen und Beerensträuchern den Kinder Katharina und Maximilian ein ideales Territorium für ihre Streifzüge, zum Spielen, Gärtnern und Lesen in der Hängematte unterm Apfelbaum.
Weiterbenutzen
Der Bungalow war der erste im Wohngebiet, neu erschlossen Ende der 50er Jahre in Landau an der Isar. Das Haus wurde bis vor ein paar Jahren in unveränderter Art erhalten und benutzt. Kleine Reparaturen wurden ausgeführt, hier und da ersetzte ein Kunststofffenster ein Kellerfenster, ein neuer Warmwasserboiler wurde angeschlossen. Ansonsten lebte die Hauherrin so lange sie für sich selber sorgen konnte bis 2011 - also 50 Jahre - unverändert im selben Haus. Als das Haus von Oma an die Enkelin weitergegeben wurde, hatte es weder Zentralheizung noch zentrale Wassererwärmung, die oberste Geschossdecke war praktisch ungedämmt, die Fenster waren einfach-verglast und die Außenwand bestand aus 30cm Bimsteinmauerwerk. Der bauzeitliche Eingabeplan ging fälschlicherweise davon aus, dass das Gelände planeben ist. Tatsächlich steht das Haus an einem Hang; trotzdem wurde das untere Geschoss als Keller ausgebildet - fatalerweise mit einer Lichte von nur 2,10m, was eine Wohnnutzung dieses Geschosses unmöglich macht. Eine Garage - für heutige Autos viel zu klein - ein Heizöllagerraum (für die dezentralen Ölöfen in den Zimmern) und Lagerräume waren auf Gartenebene untergebracht.
Aufwerten
Es war klar, dass das Haus, u.a. was den Platzbedarf betrifft - nicht den Bedürfnissen einer 4- köpfigen Familie im Jahre 2011 entsprach - die Haustechnik war praktisch nicht vorhanden, das
Äußere entsprach dem Massengeschmack von 1960, die Wohnräume waren spartanisch zugeschnitten.
Und doch steckte und steckt immer noch graue Energie im Bestandsgebäude - ein Totalabriss würde weitere Energie verbrauchen - ein potentieller Neubau erneut Resourcen. Es entstand der Anspruch,
das Haus so umzudenken, dass so viel Baumasse wie möglich erhalten bleibt, nur das Nötigste entfernt wird und davon ausgehend weitergebaut wird. Das Haus weiterzudenken und weiter zu benutzen
hatte weitere Gründe: zuallererst einen familiären: Oma wohnt ganz in der Nähe in einem Wohnheim - die Enkelin und deren Familie hatten Skrupel das Haus nun einfach abzureissen. Sanierung und
Erweiterung wurden im Gegensatz zu Abriss und Neubau als resourcenschonender bewertet. Ausgebaute Baustoffe wurden teilweise weiterverwendet: die Dachziegel - nicht mehr produzierte Pfannen einer
lokalen, geschlossenen Ziegelei - wurden säuberlich Stück für Stück von interessierten Handwerkern gestapelt und vorsichtig zum Wiederverwerten abtransportiert. Der demontierte Dachstuhl
wurde am Grundstück als Brennholz zwischengelagert.
Sparsamer Umgang mit dem Land
Neubaugebiete werden erschlossen und sind für Familien sicherlich attraktiv. Der Neubau eines Einfamilienhauses im Genehmigungsfreistellungs- verfahren ist ein einfacher, schneller Weg zu einem
Eigenheim zu kommen. Die Kosten eines Neubaus sind relativ sicher zu prognostizieren. Der vorliegende Bungalow in der Siedlung der 60er Jahre ist jedoch exemplarisch für einen großen Teil
unseres Gebäudebestands. Die Herausforderung der Bauherrn und Architekten bestand darin, im Fall eines Generationswechsels wirtschaftlich darstellbar, nachhaltig und attraktiv weiter zu bauen
und weiter zu verwenden, ohne neues Land zu verbrauchen und Boden weiter zu versiegeln.
Verantwortung
Verantwortung übernehmen bedeutet in diesem Sinne Resourcen zu schonen, durch Weiterverwertung von Bauwerken und Infrastruktur, aber auch dadurch, dass bestehende Wohngebiete revitalisiert und
als Lebensraum weiterbenutzt werden. Verantwortung bedeutet aber auch, sich mit der Frage auseinanderzusetzen welche Baustoffe neu eingesetzt werden und welche energetische Leistungsfähigkeit
das sanierte und evtl. erweiterte Haus haben wird. Woher kommen die neuen Baustoffe? Mit welchem Aufwand werden diese hergestellt? Wie werden diese Baustoffe - wiederum von unseren Kindern -
weiterverwendet oder recycelt werden? Wie viel Energie wird das neue Haus im Betrieb verbrauchen? Welcher Energieräger kommt zur Verwendung? Mit welchem baulichen und finanziellem Aufwand wird
welcher Standard erreicht?
Nachhaltigkeit
Das Maß für die energetische Leistungsfähigkeit eines Gebäudes sind die Berechnungen nach EnEV, der darüber hinaus gehende Standard wird u.a. von den
KfW-Effizienzhäusern oder dem Passivhausstandard definiert. Nach den ersten Entwürfen und dem parallel berechneten Energieeinsparnachweis wurde die Zielsetzung KfW Effizienzhaus 55 gesteckt.
Der Bereich der energetischen Sanierung wurde mit dem Programm 151 „Energieeffizient Sanieren“ finanziert und gefördert.
Darüberhinaus wurde bei jedem Baustoff die Frage nach der recyclefähigkeit gestellt. Schaumkunststoffe als Dämmung wurden - vor allem bei der Außenwand - vermieden.
Konstruktion
Die konstruktive Entwurfsidee bestand darin, das Dach zu entfernen und die Deckenbalken zum Kaltdach zu belassen. Diese Balken wurden statisch mit einer neuen Brettsperrholzplatte verschraubt und
bildeten nun eine frei tragende neue Geschossdecke. Dies gab die Freiheit, die Räume neu zu arrangieren unter Berücksichtigung einiger weniger tragenden Spuren.
Die neue Deckenscheibe steift das Gebäude gemeinsam mit einem verbundenen Ringanker aus und gab die Möglichkeit, ein weiteres Geschoss aufzumauern. Der Dachstuhl ist eine konventionelle
zimmermannsmäßige Konstruktion mit mineralischer Zwischensparrendämmung und Aufdachdämmung aus Holzfaserplatten. Die Dachdeckung besteht aus einem schwarzen Betondachstein. Die neue, sowie die
Bestandsaussenwand wurden in einer durchgängigen Ebene mit 24cm Steinwolle zweilagig zwischen Konstruktionshölzern gedämmt. Aussenseitig wurde eine diffusionsoffene Winddichtbahn angebracht
und fugenlos verklebt. Die Hülle besteht aus einer sägerauhen vertikalen Lärchenschalung mit Lattung und Konterlattung. Der untere thermische Gebäudeabschluss ist die Geschossdecke zum UG;
wegen der beschränkten baulichen Höhensituation (Lichte im UG; Tür- und Fensterstürze im EG) waren die Dämmstärken der bestehenden Hohlkammerdecke limitiert. Oberseitig wurde der Hohlraum
des Douglasie-Dielenbodens mit Zellulose ausgeflockt - unterseitig mit PUR Dämmung gedämmt. Die Aussenwände des UG wurden mit einem mineralischen Wärmedämmverbundsystem gedämmt. Die
Perimeterdämmung besteht aus einer Schaumdämmplatte aus 100% Recyclingglas. Die neuen Fenster sind dreifachverglast mit Lärcherahmen.
Reduzieren / Suffizienz
Reduktion auf das Notwendige war der Anspruch bei der Haustechnik. Beheizt wird das neue Haus mit einem Stückholzofen mit Wassertasche und solarer
Heizungsunterstützung. Der ausgebaute Dachstuhl diente fast zwei Heizperioden als Brennstoff. Die Trinkwassererwärmung erfolgt mit Solarkollektoren und Unterstützung durch den Ofen. Eine
Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung unterstützt das energetische Konzept, reduziert die Lüftungswärmeverluste dramatisch und gewährleistet in jedem Fall den Mindestluftwechsel zur
Kondensatvermeidung. Dieses Heizsystem - insbesondere der Stückholzofen - erfordert aktives Zutun und Arbeit; schafft jedoch auch Sensibilität für den Energieverbrauch und nutzt als
Energieträger Holz, ein Material, dass vor allem auf dem Land - oft als „Abfallprodukt“ - leicht verfügbar ist.
Ferienhaus
Die Idee, mit einem Feuer im Ofen ein komplettes Haus zu beheizen und mit Warmwasser zu versorgen entstand aus der Vorstellung vom Ferienhaus. Fernab von Arbeit oder
Schule wollte die Bauherrenfamilie zu Hause in den Ferien sein. Ferienhäuser müssen nicht perfekt, dürfen dafür aber einzigartig sein. Es braucht Platz zum Kochen, Essen, Lesen, Ausruhen,
Arbeiten, Geschichten erzählen, Schlafen oder eine Mischung daraus. Die Vorstellung vom Ferienhaus schloss einen Kaminofen mit ein. Den Ofen auch als Heizkessel zu benutzen, erschien plausibel.
Möglich machte dies wiederum u.a. die gute Gebäudehülle, die optimale Lage am Südhang und die Wärmerückgewinnung der Lüftungsanlage
Charakter
Charakter wird gebildet durch Material, dessen Echtheit, Textur und das Licht, das die Oberfläche auf immer unterschiedliche Arten erscheinen lässt. Die
vorherrschenden Materialien sind Lärche und Douglasie, im Innenraum hell, geseift und glatt, auf der Fassade schwarz und sägerauh. Den Übergang von Innen nach außen, die Fenster und deren
Leibungsrahmen bestehen aus geölter europäische Lärche.
Der Bestandsinnenputz wurde grösstenteils erhalten und mit Kalkputz ergänzt und ausgebessert. Die neuen
Aussenwände im OG wurden mit Lehm von einer lokalen Abbaustelle geputzt. Der Kalkputz blieb grösstenteils, der Lehm komplett ungetüncht. Die natürlichen Farben und Wolkungen sind erhalten
geblieben. Kalk verhindert durch seinen niedrigen PH - Wert Schimmelbildung im Bestand, Lehm wirkt in Schlafräumen und Bad feuchteregulierend.
Der komplette Fussboden besteht aus einem Douglasie Dielenboden auf Lagerhölzern, lediglich im Eingangsbereich wurde ein Zementestrich - geschliffen und gewachst - eingebaut, ohne weiteren
Belag. Auch Küche Bad und WC sind mit Dielenboden ausgeführt. Die neuen Trennwände, vor allem im EG, sind als Holzständerwand auf dem fertigen Fussboden ausgeführt. Die Sichtschalung dieser
Wände besteht aus geweißten Nut+Feder Bretten, teils glatt und sägerauh gemischt. Bei wechselnden Familienverhältnissen können die Wände leicht ausgebaut und zum Beispiel im Stückholzofen
vollständig energetisch verwertet werden.
Die Spuren des Bestands beeinflussten den Grundriss des neuen Hauses. Die Räume eines neuen Hauses würden rationaler angeordnet werden, doch gerade die Eigenartigkeit in der räumlichen
Gestaltung des sanierten Hauses bildet dessen unkonventionellen und individuellen Charakter.
Das neue Haus öffnet sich weit mehr zum Strassenraum als der Bungalow der 60er Jahre. Einblicke in und durch das Haus (bei gleichzeitigen Rückzugsmöglichkeiten) und Ausblicke aus dem Haus
bringen ein Stück Familie auf die Strasse und die Strasse ein Stück ins Haus. Der Übergang von Haus zur Straße besteht aus einer Veranda, im Englischen „Porch“ genannt. Im Bayerischen gibt es
den Begriff der „Gred" (lat. gradus, Stufe). Gemeint damit ist der leicht erhöhte Bereich vor dem Haus, durchaus mit Bank, gedacht als Abgrenzung und gleichzeitiger Einladung zur Begegnung.